Schuldgefühle

«Hätte ich anders agiert, würde er/sie noch leben…», ist ein Gedanken, den viele Mitmenschen eines Suizidopfers erleben.

Kurz nach dem Erfahren der Todesnachricht herrscht ein Gefühlschaos bei den Hinterbliebenen; es fällt oft schwer, zwischen der Realität und der Einbildung zu unterscheiden. Durch den erlebten Schmerz bleibt im Kopf der Hinterbliebenen keine andere Option, als dass sie daran schuld sein müssen. Dieses Gefühl kann einen innerlich quälen.
Doch können Schuldgefühle auch etwas Gutes für dich sein?

woman sitting on bed
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"Schuldgefühle können die letzte Verbindung zum Verstorbenen darstellen.", davon ist die Trauerbegleiterin Chris Paul überzeugt.
Sie geben den Trauernden die Möglichkeit, sich dem Verstorbenen näher zu fühlen und auch sich unterschiedliche Szenarien vorzustellen, in denen sich alles anders abgespielt hätte. Dies ist für die Mitmenschen des Suizidenten manchmal hilfreich, denn es hält die Erinnerungen lebendig und verschiebt die Konfrontation mit schwierigeren Gefühlen wie Wut oder Enttäuschung.
Doch langfristig erschwert das den Übergang zum Trauerprozess.

Überwindung
der Schuldgefühle

«Schuld hält die Wunde offen.»

Um eine heilsame Verbindung zum Verstorbenen aufzubauen, ist es wichtig, schwere Gefühle und Schuld zu überwinden. Ein erfolgreicher Trauerprozess kann erst entstehen, wenn man alle Erinnerungen, positive Erlebnisse und Gefühle mit dieser Person in den Vordergrund stellt.

«Was hätte ich merken müssen?
Dass er sich zurückzieht und sagt,
er brauche seine Ruhe? Dass er auf die Frage, wie es ihm gehe, sagt, es gehe ihm gut? Dass er von Schlafstörungen erzählt, aber auch davon, dass er solche Phasen öfter hat und die auch wieder vorbeigehen?
Dass er gerne zum Schwimmen gegangen ist oder Pfannkuchen gemacht hat?»

«Hatte er/sie Depressionen? Und ihr habt nichts gemerkt?», solche Aussagen von anderen Personen können einen dazu verleiten, sich selbst zu beschuldigen. Depressionen zu bemerken, ist aber schwieriger als man ahnt. Im Nachhinein denkt man immer, dass bestimmte Situationen die Depression offensichtlich gemacht hätten, doch in Wahrheit, zeigt eine Person immer gegensätzliche Emotionen, die eine/n wieder «normal» scheinen lassen. Mache dir also keine Sorgen darum, es nicht bemerkt zu haben.

Menschen, die sich bereits entschlossen haben, Suizid zu begehen, planen diesen in den meisten Fällen gründlich im Voraus. Ihr Überlebenswille ist verschwunden, ebenso wie das Bewusstsein, dass sie das Leben ihrer Geliebten für immer prägen könnten. Sie haben nur ein Ziel vor Augen: den Tod. Er wird nämlich nicht mehr als etwas Trauriges gesehen, sondern als Befreiung und Ende eines unendlichen Leides. Der Prozess zu dieser Entscheidung ist so komplex, dass die Einflussmöglichkeiten, die du auf diese Person haben kannst, begrenzt sind. Du hast keine Kontrolle über ihren inneren Kampf.

Folglich musst du zur Einsicht kommen, dass es ihre Entscheidung war, sich das Leben zu nehmen. Der Grund dabei spielt keine Rolle. Es ist okay traurig zu sein, dass du jemanden, der dir wichtig war, verloren hast. Genauso ist es okay traurig für diese Person zu sein, da sie vieles niemals erleben wird. Entwickle dabei ein Mitleidsgefühl von einer äusseren Perspektive, für dich und für den Verstorbenen. Versuche dabei niemanden anzuschuldigen und keinen Hass oder Wut zu verspüren, sei neutral. Konzentriere dich darauf, das Passierte so wie es ist zu akzeptieren, aber auch die Entscheidung deines Nahestehenden. Sie haben es sich lange überlegt und sind zum Schluss gekommen, dass es das Beste für sie ist.
Diese Person würde dich nicht ihretwegen leiden sehen wollen.

Wichtiger Hinweis:
Diese Tipps basieren auf fundierter Literatur, können aber individuelle professionelle Hilfe nicht ersetzen. Da jede Situation einzigartig ist, empfehlen wir, bei Bedarf zusätzlich professionelle Unterstützung in Anspruch zu nehmen.